Digitale Bildung in Einrichtungen der Altenhilfe
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Interview mit Prof. Dr. Michael Doh von der Katholischen Hochschule Freiburg
Michael Doh ist Professor für Digitale Transformation im Sozial- und Gesundheitswesen an der Katholischen Hochschule Freiburg. Er leitet das Verbundprojekt „Digitale Bildungsprozesse für ältere Menschen in seniorenspezifischen Wohnformen der institutionalisierten Altenhilfe“ an dem neben der Katholischen Hochschule Freiburg das Zentrum für Allgemeine Wissenschaftliche Weiterbildung der Universität Ulm, die Stiftung MedienKompetenz Forum Südwest, Ludwigshafen und die Evangelische Heimstiftung GmbH Stuttgart beteiligt sind. In diesem Podcast-Interview berichtet Doh davon, wie die Projekt-Erkenntnisse die Arbeit mit digitalen Medien im Betreuten Wohnen oder in Pflegewohnheimen unterstützen und verbessern können.
Zum Interview mit Michael Doh
(21:50 min)
Lesefassung
Guten Tag und herzlich willkommen bei Bildung auf die Ohren, dem Podcast des Deutschen Bildungsservers. Mein Name ist Christine Schumann. Heute ist Michael Doh, Professor für digitale Transformation im Sozial- und Gesundheitswesen an der Katholischen Hochschule Freiburg, zu Gast in unserer Podcast-Reihe Bildungsforschung für die Bildungspraxis.
Michael Doh koordiniert ein Projekt, in dem Bildungsangebote zur sozialen und digitalen Teilhabe älterer Menschen im betreuten Wohnen und in der Pflege untersucht und entwickelt werden. Konkret geht es dabei um Fragen, wie man digitale Bildung und Teilhabe dieser Senioren fördern kann, wie sich ehrenamtliche Begleitangebote für Internetneulinge im hohen Alter entwickeln lassen und welche Möglichkeiten es für digitale Angebote für Personen mit Pflegebedarf gibt. Ein recht komplexes Vorhaben also, an dem insgesamt vier Projektpartner mit mehreren Forschungsschwerpunkten gearbeitet haben und das im August 2025 endet.
Wie die Forschung im Einzelnen ausgesehen hat und wie die gewonnenen Erkenntnisse die Arbeit mit digitalen Medien in Pflegewohnheimen oder Seniorentreffs unterstützen und verbessern können, erklärt uns Professor Michael Doh am besten selbst.
Schön, dass Sie da sind, Herr Doh. Mögen Sie sich und Ihr Projekt unseren Hörerinnen und Hörern kurz vorstellen?
Michael Doh: Ja, guten Morgen, Frau Schumann. Sie haben eigentlich schon vollumfänglich alles berichtet. Ich kann eigentlich jetzt auf der abstrakten Ebene gar nichts mehr dem hinzufügen, vielleicht aus der Praxis berichten oder Interna kundgeben. Da können Sie vielleicht einfach die nächste Frage dazu stellen.
Vielleicht können Sie das Projekt doch noch mal kurz beschreiben, vor allem auch im Hinblick auf diese drei Forschungsansätze, die Sie bedienen: Mediengerontologische Forschung, Bildungsbiografie und Sozialraumforschung und Forschung zu Partizipation und Praxis. Das sind recht abstrakte Begriffe, die man vielleicht ein bisschen mit Leben füllen könnte. Und die Frage, die ich damit verbinde, ist, was tragen gerade diese drei Ansätze dazu bei, Erkenntnisse in der Praxis selbst umzusetzen?
Michael Doh: Okay, also das ist jetzt schon eine große Frage. Fangen wir mal vorne an. mediengerontologische Bezugspunkte – das ist vor allem mein eigener Forschungsschwerpunkt, weil ich aus der quantitativen mediengerontologischen Forschung komme und seit Jahrzehnten auch Grundlagenforschung mache zur Digitalität im Alter, also: Wie nutzen ältere Menschen digitale Medien oder auch analoge klassische Medien? Wie stehen die in Bezug zueinander? Welche Einstellungen haben sie dazu? Welche Motive, welche Ängste und Verunsicherung? Welche Kompetenzen bringen sie mit? Welche Selbstwirksamkeitserwartung bringen sie mit? Und das in Bezug setzen zu psychologischen, gerontologischen Konstrukten wie Gesundheitsparameter oder auch soziale Eingebundenheit – das Gefühl von Ausgrenzung, Obsoleszenz ist da der Fachbegriff. Das ist eigentlich alles, was zu dieser mediengerontologischen Forschung zählt.
Das Projekt DibiWohn
- Das Verbundprojekt „Digitale Bildungsprozesse für ältere Menschen in seniorenspezifischen Wohnformen der institutionalisierten Altenhilfe“
- Die fünf Forschungsschwerpunkte
- Technikbegleitung u.a. mit Handreichungen für Einrichtungen, Methodenkoffer und Erfahrungsberichten
- Veranstaltungen zum Projekt „Digitale Bildungsprozesse für ältere Menschen in seniorenspezifischen Wohnformen der institutionalisierten Altenhilfe“
Und in unserem Projekt, einem Fünfjahresprojekt, hatten wir die einmalige Gelegenheit, zum einen das Ruhealter zu analysieren, das heißt Personen ab 80, 85 Jahren aufwärts, was eigentlich sehr selten erforscht wird, wenn es um Mediennutzung geht. Und zum anderen auch Personen, die in Einrichtungen leben, also in Institutionen leben, was noch seltener erforscht wird. Und dazu die Möglichkeit, das im Längsschnitt zu machen. Das ist auch forschungsmethodisch nahezu einmalig, dass wir die Chance haben zu untersuchen, wie sich Personen in diesem hohen Alterssegment entwickeln, wenn wir verschiedene Begleitangebote mit ihnen führen – das ist unser Part gewesen.
Der zweite Part ist die Bildungsbiografieforschung und Sozialraumforschung, auch an der Katholischen Hochschule Freiburg angesiedelt. Da ging es vor allem darum, zu erfassen, wie die heutige Digitalität oder Offenheit oder Verwaltungsstrategien gegenüber neuen digitalen Techniken mit der Sozialisation mit der Bildungsbiografie zusammenhängen. Da haben wir wichtige Erkenntnisse gewinnen können, die auch jetzt für die Bildungspraxis hoch relevant wird. Wir können nicht mehr einfach Kurse anbieten oder traditionelle Bildungsangebote machen können, um Interesse für Smartphone oder Tablets zu wecken. Vielmehr müssen wir gezielt auch alltagsspezifische Angebote schaffen, damit die Menschen einen Bezug finden können zu ihren bisherigen Bildungsbiografien.
Sozialraumforschung war noch ein interessanter Punkt: Da ging es darum, wie die soziale Eingebundenheit ist für diese Personen, die in Einrichtungen des betreuten Wohnens leben. Wie mobil sind sie in ihrem Quartier unterwegs? Im Laufe des Forschungsprojekts kam heraus, dass die Personen, die durch diese Begleitung internetaffin wurden, tatsächlich virtuelle Sozialräume entstanden sind. Dass wir dann auch feststellen können, es gibt keine Altersgrenze. Warum nicht auch die Sozialräume sich ändern und wandeln und erweitert werden durch digitale Angebote? Das war der zweite Part.
Der dritte Part ist eigentlich unser Herzstück, das am praxisrelevantesten ist und in dem gleich drei Praxispartner involviert sind. Da geht es tatsächlich um Partizipationsforschung mit den Zielgruppen; sprich mit den Personen im sogenannten vierten Alter, also das hohe Alter, und um Ehrenamtspersonen, die auch schon im dritten Alter, aber auch teilweise schon älter sind – also 60, 70, teilweise 80 Jahre, mit denen wir gemeinsam Angebote in diesen Einrichtungen entwickelt haben. Wir haben angefangen mit der Evangelischen Heimstiftung in Baden-Württemberg als Altenhilfeträger, die uns so eine Einrichtung zur Verfügung stellen konnte, in der wir Angebote entwickeln und auch austesten konnten. Ein zweites wichtiges Bundesland war Rheinland-Pfalz, bei dem wir mit verschiedenen Trägerschaften kooperieren konnten.
Wie sind Sie denn auf die Idee gekommen, so ein Projekt zu machen, so ein komplexes über fünf Jahre? Waren das Rückmeldungen aus der Praxis, also aus den Auspflegeheimen oder Seniorentreffen, die sagen, wie fangen wir das jetzt am besten an? Haben Sie da Tipps? Wie kommt man zu dieser Forschungstrage?
Michael Doh: Da kann ich jetzt ein paar Sätze zu mir selbst sagen. Ich bin von Haus aus Bildungswissenschaftler und Gerontologe, habe in Gerontologie promoviert an der Uni Heidelberg und habe seit bestimmt – um Gottes Willen, 20 vielleicht sogar 30 Jahre – das Thema digitale Bildung im Alter als Schwerpunkt; das heißt, ich bin auch nicht mehr ganz der Jüngste! Schon seit den 90er Jahren ging es darum, wie ältere Menschen neben den klassischen Medien wie Fernsehen, Radio und Zeitung auf dem Computer nutzen. Dann kamen das Internet und dann die sozialen Medien auf. Dann kam Smart Home als Thema auf und jetzt die KI. Es war also schon immer ein anwendungsbezogenes Forschungsthema: Wie kann man Sozialräume, Bildungsangebote, Begleitangebote, Beratungsangebote schaffen auf kommunaler Ebene für ältere Menschen.
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Und im Laufe der Jahre, auch durch die Grundlagenforschung, haben wir erkannt, dass so peu à peu auch jetzt das ältere Segment, sprich das hohe Alter, dazu kommt. Also am Anfang ging es darum, ob ältere Menschen überhaupt einen Bezug zu den neuen Medien haben. Ja, haben sie! Und jetzt wechselt hier auch eine Technikgeneration ins Alter, die schon mit Technik zu tun hatte – mit digitaler Technik in ihrer beruflichen Phase, in ihrer produktiven Phase. Aber seit Corona zeigt sich ganz massiv, dass auch das hohe Alter dazu Bezugspunkte findet.Es war also naheliegend, dass wir nach so vielen Jahren Forschung im privaten Sektor, im Sozialraum jetzt auch gezielt anschauen wollen, wie Menschen im hohen Alter, die in Einrichtungen leben, wie es da funktioniert. Und das war wirklich ein weißer Fleck, wir haben nicht gedacht, dass es so schwierig werden kann.
Leute, die im Pflegeheim wohnen, sind ja oft einfach auch physisch beeinträchtigt. Sie können nicht mehr gut hören oder sehen. Inwiefern spielt es eine Rolle mit solchen Handicaps umzugehen?
Michael Doh: Okay, also da kommt jetzt die erste Erkenntnis für uns selbst als Gerontologen – uns war das alles auch noch ein bisschen zu diffus. Wir gingen mit dem Bild rein, die werden ja alle hochvulnerabel sein. Und wir mussten unterscheiden zwischen Personen, die im betreuten Wohnen oder Servicewohnen leben und dem anderen Bereich, wo wirklich die Pflege Vordergrund steht. Ist jetzt im Nachhinein logisch und naheliegend gewesen, dass man das groß unterscheiden muss, denn im betreuten Wohnen gibt es eine große Heterogenität.
Es ist eben nicht so, dass alle schon vulnerabel, pflegebedürftig oder hilfsbedürftig sind. Es gibt auch viele, die einfach antizipieren, dass sie den Alltag alleine so nicht mehr stemmen können, die Gemeinschaft suchen und proaktiv in diese Einrichtung gehen. Das heißt, wir haben die Erkenntnis gewonnen, dass in diesen Einrichtungen sehr wohl schon digital affine Personen im hohen Alter sind, die – jetzt kommt das Spannende daran – mit unserem sogenannten Peer-to-Peer-Konzept sehr wohl sogar als technikbegleitende Personen qualifiziert werden können. Unser Gedanke war: Wir kommen extern mit Ehrenamtspersonen aus dem Quartier, aus dem Sozialraum und in die Einrichtungen rein und begleiten die Menschen einmal in der Woche und dann ist nach ein paar Monaten eine Kontinuität drin. Das stimmt. Aber jetzt haben wir tolle Ergebnisse, die zeigen, dass sich in den Einrichtungen selbstorganisierte Lerncafés entwickeln und die Leute sich selbst helfen können. Das heißt, die Heterogenität in Einrichtungen des betreuten Wohnens ist sehr spannend, in den Einrichtungen der Pflege gibt es die natürlich weniger.
Vielleicht können Sie dazu noch genau mal was sagen. Wie ist denn dann Ihr Ansatz gewesen konkret? Also Sie haben Multiplikatorinnen ausgebildet in den Einrichtungen, also Bewohnerinnen und Bewohner. Wie stelle ich mir das vor?
Michael Doh: Der Begriff ist schon ein paar Mal gefallen: Das sogenannte Peer-to-Peer-Konzept. Wir haben gute Erfahrungen damit gemacht, gerade bei älteren Menschen das informelle Lernen in den Fokus zu stellen und nicht mehr Angebote in Volkshochschulen oder anderen Bildungsinstitutionen zu machen. Das heißt, das zufällige Lernen oder das Lernen über Angehörige, über Ehrenamtspersonen ist eigentlich am zielführendsten.
Und jetzt kommt der zweite Begriff dazu, die Selbstwirksamkeit. Nach Bandura ist das das sozialkognitive Lernen. Im Alter, speziell im hohen Alter, geht es nicht mehr darum, sich zwingend Kompetenzen anzueignen, sondern erst mal Vertrauen zu gewinnen und Angst zu verlieren. Und das hängt sehr viel mit diesem Begriff der Selbstwirksamkeit zusammen. Also: Traue ich mir zu, mit den neuen digitalen Herausforderungen umzugehen, oder bin ich aversiv und traue mich nicht? Und genau das ist das Momentum, das wir festgestellt haben, auch nach Bandura. Wenn wir Role Models, Vorbilder haben, sprich Personen, die aus einer ähnlichen Technikgeneration kommen, die auch keine englischen Begriffe nutzen, also auch noch in der gleichen Sprache, im gleichen Denken zu Hause sind, schafft das Barrieren und Ängste ab. Und diese Personen, die erst verunsichert sind, sagen, jetzt traue ich es mir vielleicht doch durch.
Und da geht es dann erst mal kleinteilig darum, erste Schritte zu gehen, sich mit einem Gerät anzufreunden, um dann ganz alltagsnah, lebensweltnah Bezugspunkte zu finden. Das gelingt am ehesten Personen, die ähnlich alt sind und nicht irgendwelchen jüngeren Personen. Das können später Enkelkinder sein, das sind meistens die Türöffner. Sie sagen Oma oder Opa „Mach doch mal, ich schenke dir ein Tablet oder mein altes Handy.“ Und dann stehen sie da und wissen nicht, wie es funktioniert. Man muss also wirklich versuchen, mit diesen gleichaltrigen Gruppen oder ähnlichen Technik-Generationen sich auf den Weg zu machen. Genau das tun wir! Wir schauen in diese Sozialräumen und versuchen über die Kommune oder über andere Akteure, Netzwerke zu bilden.
Es geht also darum, ältere Menschen für das Ehrenamt zu gewinnen und sie speziell zu qualifizieren. Aufgrund der Fragilität dieser Menschen auch auf sozialer und emotionaler Ebene muss man andere Antennen mitbringen als in einem Volkshochschulkurs; dann kann auch eine Freundschaft und Beziehung entstehen. Wir haben mit diesem Begleitprogramm sehr gute Erfahrungen gemacht.
Wie funktioniert dieses Begleitprogramm? Sie haben das in drei Einrichtungen in verschiedenen Bundesländern ausprobiert und durchgeführt. Was kriegen Sie für Feedback von den Leuten, mit denen Sie gearbeitet haben? Und wie kommen andere Pflegekräfte oder Institutionen an diese Informationen zum Begleitprogramm? Wie implementiert man das großflächig in der Praxis?
Michael Doh: Also zum einen hatten wir mit der Evangelischen Heimstiftung und einem Träger in Rheinland-Pfalz schon mal ein festes und gutes Fundament. Dann haben wir noch andere Netzwerke einbezogen, in Baden-Württemberg das Netzwerk der Senioren-Internet-Initiativen, in dem über 800 ältere Menschen als sächlich Begleitende aktiv sind. In Rheinland-Pfalz sind es die sogenannten Digitalbotschafter und -botschafterinnen, das sind es auch um die 700 Menschen.
Wir haben also geschaut, ob es schon nahegelegene ehrenamtlich Aktive im Bereich der digitalen Technik gibt und konnten so anfangen zu matchen. Das war der erste Schritt, dass wir sagen, in welchen Orten und Kommunen gibt es schon gute Voraussetzungen, gute Infrastruktur? Natürlich muss man auch die Einrichtung selbst anschauen. Gibt es da eine Infrastruktur? Gibt es überhaupt ein WLAN? Also das ist die große erste Hürde. Und dann zweitens, natürlich: Gibt es in den Einrichtungen auch eine Bereitschaft, so etwas überhaupt zu machen? Das ist auch nicht selbstverständlich. Also es gibt schon viele Hürden, die man nehmen muss.
Mittlerweile gibt es aber gute Handreichungen dazu, wie man Rahmenvoraussetzungen in der Kommune oder in den Einrichtungen für sich selbst prüfen und schauen kann, ob man alles mitbringt, um so ein Programm zu machen. Das kann man nur wärmstens empfehlen für einen Transfer dieses Programms in die Praxis. Wir haben zu all diesen Forschungsvorhaben sehr gute frei zugängliche Handreichungen entwickelt – zu finden über unsere Homepage.
Wie bringt man das jetzt so in die Fläche? Wie kann man skalieren? Wir machen jetzt seit fast einem Jahr schon permanent Informationsveranstaltungen – auch digital, ganz niedrigschwellig. Aus Deutschland kann sich jeder zuschalten, wir hatten aber auch schon Personen aus Österreich zugeschaltet. Und wir machen auch Großwerbung über unsere eigenen Netzwerke, Multiplikatoren. Der Deutsche Seniorentag war beispielsweise ein großer Auftritt für uns. Dort konnten wir unsere Forschungsergebnisse präsentieren und Multiplikatoren aus den Kommunen ansprechen, die sich für dieses Thema interessieren.
Aber, das muss man ganz klar sagen: Die größte Bremse sind mittlerweile immer noch, leider Gottes, die Einrichtungen selbst, die noch nicht unbedingt die Affinität mitbringen für die Bewohnerschaft was machen zu müssen. Ich muss das vorsichtig ausdrücken. Innerhalb der Bewohnerschaft gibt es eine große Bereitschaft und Interesse mittlerweile, die digitale Welt für sich entdecken zu können. Aber sie sind hilflos, weil keine Unterstützungs- und Infrastrukturen gegeben sind.
Und wir müssen auch ganz klar unterscheiden zwischen betreutem Wohnen und der Pflege. In Pflegeeinrichtungen schaut es anders aus. Dafür haben ein anderes Konzept entwickelt, nicht Peer-to-Peer, weil diese Personenkreise gar nicht mehr zwingend selbst lernen wollen, mit dem Tablet oder mit Alexa umzugehen. Da geht es eher um das „passive Lernen“. Hier werden in Kleingruppen auch für Menschen mit schwerer Demenz, Angebote geschaffen, um gemeinsam mit einer Ehrenamtsperson oder jemanden aus der Einrichtung – das können auch Familienangehörige sein oder Alltagsbegleiter – Spotify-Nachmittage zu machen: „Wünsch dir was“ an Lieblingsmusik oder Google-Earth-Reise, Biographiearbeit. Von wo kommst du her? Was war dein Lieblingsort? Wo hast du deinen ersten Kuss gehabt? All solche Sachen. Oder was war deine Lieblingsreise? Und Sie können sich nicht vorstellen, was passiert, wenn solche Kleingruppen zusammensitzen und man mit einer Geschichte anfängt! Plötzlich werden auch Personen, die relativ verstummt sind, emotional aktiviert und fangen an Assoziationen freizugeben. Musik hilft natürlich immer, weil sie Emotionen freisetzt. Aber auch Bilder und bewegte Bilder auf YouTube, alte Klassiker zum Beispiel oder Kurzfilme mit dem Dialekt der Region, da kommen sehr viele Assoziationen auf von Personen, die eigentlich gar nicht mehr aktiv stimuliert, sozial aktiv sind. So etwas funktioniert sehr gut in Kleingruppen.
In der Diakonissenanstalt in Stuttgart suchen sie mittlerweile den größten Raum für bis zu 80 Personen raus, um einmal in der Woche ein festes Programm anzubieten. In unserem Methodenkoffer kann man aus 30 verschiedene Methoden, nach Lebensbereichen geordnet, aussuchen, wenn man was zum Thema Unterhaltung, Information oder Gesundheit machen will; damit kann man ein Programm über 30 oder 40 Minuten oder auch einen ganzen Nachmittag gestalten.
Weil wir eine zeitliche Beschränkung haben für diesen Podcast, will ich noch einmal nachfragen, wie das Feedback auf Ihre Arbeit ist. Sie haben kurze Videoclips auf ihrer Projektwebsite, an denen man sieht, wie angetan und wie begeistert da einige Partizipanten an dem Projekt waren. Und die letzte Frage betrifft das Thema Transfer zwischen Forschung und Praxis: Was haben Sie für sich gelernt aus diesem Projekt haben? Wie könnte eine bessere Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Praxis Ihre Forschung bereichern?
Michael Doh: Also die Bewohnerschaft, die teilnimmt, das sieht man auf der Homepage mit den kurzen Videos, sind angetan und wollen eigentlich, dass es so weitergeht. Und wir haben auch schöne Beispiele von Personen, die teilweise aus dem Pflegesetting gewechselt haben ins betreute Wohnen, weil sie durch diese Technikbegleitung selbst wieder aktiv und fitter wurden und sogar weniger Medikamente brauchen. In einer Partnereinrichtung in Bad Kreuznach gibt es eine tolle technikbegleitende Person, die einmal in der Woche Musiknachmittage organisiert über YouTube. Solche Einzelbeispiele zeigen gut, dass Programme wie wir sie entwickelt haben Potenzial haben – sowohl im Pflegesetting wie auch im betreuten Wohnen.
Es gibt aber auch Einrichtungsleitungen, die manchmal mit guten Gründen sagt, dass sie so ein Programm nicht stemmen können. Einfach, weil sie die Ressourcen nicht haben. Die Pflegekräfte gehen auf Anschlag – Stichwort: Fachkräftemangel. Wir können dem Personal also nicht auch noch die digitale Bildung übertragen.
Das heißt, wir brauchen da andere Strukturen – zum Beispiel ist das Ehrenamt sehr wichtig. Dann sind wir auch schnell beim Thema Kommune: Die Kommune muss auch für die digitale Daseinsvorsorge in die Pflicht genommen werden. Nur dann können Strukturen entstehen, in denen man gemeinsam etwas schaffen kann. Und damit sind wir bei den Bildungsakteuren: Die Bildungseinrichtungen müssen sich öffnen für Einrichtungen der Altenpflege und des betreuten Wohnens. Der Klassiker, dass man zu Bildungseinrichtungen wie der Volkshochschule geht, funktioniert nicht mehr – man muss hybrid anbieten und vielleicht auch die Volkshochschule dazu bringen, Kurse dort anzubieten, damit die Bürgerschaft in solche Einrichtungen geht und eine niedrigschwellige Begegnung stattfinden kann. Da gibt es schon einige neue Möglichkeiten, vor allem im betreuten Wohnen; das stellen wir immer wieder fest. Da gibt es beispielsweise 90-Jährige, die sind hoch bildungsaffin, hätten großes Interesse sogar an Seniorenuniversitäten teilzunehmen und kennen diese Angebote nicht. Hier können auch die Bildungsakteure noch große Schritte gehen.
Was wünsche ich mir für die Forschung? Natürlich wäre es toll, wenn wir auf politischer Ebene, auf kommunalpolitischer Ebene zumindest, eine wie auch immer geartete Gesetzgebung, einen Rahmen hätten, der alle Einrichtungen in Deutschland zu freiem WLAN verpflichten würde. Dass zur Grundversorgung mit Strom und Wasser das Internet reinkommt. Da haben wir in Deutschland leider Gottes erstmal wenig Gesetze. Ich glaube, drei Bundesländer gibt es: Berlin und Bremen gehören, glaube ich, dazu und Sachsen-Anhalt, in denen es Pflicht ist, Personen, die in diesen Einrichtungen leben, mit einem Internetanschluss zu versorgen. Das ginge theoretisch auch kostenpflichtig, das ist wieder eine andere Frage. Aber angenommen, das wäre kostenfrei und es gäbe eine gute technische Infrastruktur, dann kann man auch wirklich loslegen und in der Fläche agieren anfangen.
Dann wäre auch für die Forschung die Voraussetzung gegeben, Grundlagenforschung im Längsschnitt zu machen und zu schauen, wie entwickelt sich da was. Das war eigentlich unsere größte Herausforderung: Wie können wir in so einem Peer-to-Peer mit vielleicht zehn verschiedenen Einrichtungen überprüfen, was sich nach drei, sechs oder neun Monaten ändert. Wir haben jetzt nach zwei Jahren eine Nachbefragung zur Nachhaltigkeit unserer Angebote gemacht, die ist gegeben. Und in einer Längsschnittuntersuchung mit über 30 Personen konnten wir feststellen, dass die Internetangst zurückgeht und die Digitalität zunimmt. Und keiner der Teilnehmenden aus der digitalen Welt wieder ausgedreht wurde – wenn nicht gerade gesundheitliche Gründe in die Quere kamen. Also die Senioren bleiben dran an dem Thema!
Ganz herzlichen Dank, Herr Doh, für diese Einblicke in dieses Projekt. Ich muss aber doch noch sagen, ich finde es ein bisschen schockierend, dass es in den Alters- und Pflegeheimen gar kein W-LAN gibt. Man denkt, es müsste eine Selbstverständlichkeit sein.
Michael Doh: Die offizielle Statistik sagt, dass es in 66 Prozent der Einrichtungen Internet-Anschlüsse gibt; allerdings weiß man nicht, in welchem Umfang die kostenfrei sind. Und es gibt keine Verpflichtung bundesweit. Wir können den Einrichtungen jetzt also nicht einfach sagen, legt los mit digitalen Angeboten für Eure Bewohnerschaft. Das ist alles auf freiwilliger Basis.
Ganz herzlichen Dank für das Gespräch.
Michael Doh: Gerne, ich bedanke mich auch.
(Transcribed by Voice AI. Wir haben das Interview für eine bessere Lesbarkeit geglättet.)
Dieser Podcast steht unter der CC BY 4.0-Lizenz. Der Name des Urhebers soll bei einer Weiterverwendung wie folgt genannt werden: Christine Schumann für Deutscher Bildungsserver
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